Modorimasu

Modorimasu – Blog zur Japanreise im Sommer 2012, 2019 und Un-/Interessantes in und rund um Japan

Sonntag, 4. März 2012

Kindheitserinnerungen

Wenn man in zwei Kulturen aufwächst, scheinen die frühesten Erinnerungen aus dem ersten Bezugsland besonders weit entfernt und rätselhaft zu sein. Oft habe ich verschwommene Erinnerungen an Bilder, Farben, Klänge und Gerüche, die wie aus einer anderen Welt stammen. Erinnerungen sind ja meist an mehrere Sinne gebunden. Besonders intensiv scheinen mir jedoch vor allem Erinnerungen olfaktorischer Art zu sein, lassen sie doch völlig unerwartet ganze vergangene Welten wieder auferstehen, die man verloren glaubte.



Zu dieser Art Kindheitserinnerung gehören für mich auch zwei Gegenstände aus der japanischen Hausapotheke der 70er Jahre. Dass ich mich überhaupt wieder an deren Existenz erinnerte, habe ich einem Zufall in Venedig zu verdanken. Vor ca. zwei Jahren befand ich mich für etwa fünf Tage dort. In der vorletzten Nacht wurde ich von einer Mücke mitten auf die Nasenspitze gestochen. Als ich am nächsten Morgen mit einer ziemlich entstellten Nasenspitze an der Rezeption stand, sagte mir der Hotelmanager, ich solle meine Augen schließen und die Luft anhalten. Dann strich er mir mit irgendetwas Weichem über die Nasenspitze. Als ich die Augen wieder öffnete und wieder zu atmen begann, war ich urplötzlich in der Vergangenheit, in den fernen schwülheißen Sommertagen in Japan, zerstochen von so einigen Mücken. Meine Mutter brachte mir, wenn es mich schrecklich juckte, eine braune Flasche mit einem eigentümlichen Verschluss, an dem ein Stück Schaumstoff festgebunden war. Die Flüssigkeit, die sie mit Hilfe dieses Schaumstoffs auf meine Mückenstiche auftrug, roch scharf nach Ammoniak, genau wie die Flüssigkeit, die der Hotelmanager mir auf meine Nasenspitze aufgetragen hatte. Ich fragte den Hotelmanager nach dem Namen dieser Medizin, worauf er mir nur sagte, dass es seine Eigenkreation auf der Basis von Ammoniak sei. Diese unerwartete Konfrontation mit meiner Kindheit brachte mich einige Zeit ins Grübeln, weil ich mich nicht an den japanischen Namen dieser Medizin erinnern konnte, die aber in meiner Erinnerung die beste Medizin gegen juckende Insektenstiche war.

Nach einigen quälenden Tagen fiel es mir dann wieder ein: キンカン (Kinkan)! Natürlich! Wie konnte ich es nur vergessen! Ob es diese Medizin überhaupt noch gibt? Warum gibt es das tolle Zeug nicht auch bei uns? Ich nahm mir vor, auf unserer Japanreise 2010 auf die Suche zu gehen.

Wie groß war meine Freude, als ich tatsächlich in einem Drogeriemarkt in Ueno das uralte キンカン gefunden habe! Es riecht, kühlt und beruhigt Stiche genauso wie vor fast 40 Jahren, hat aber nicht mehr den Verschluss von damals. Wir kauften sofort zwei Flaschen davon und ich war im 7. Himmel.

Ein paar Regale weiter entdeckte ich noch etwas aus diesen fernen Tagen: Nein, ich traute meinen Augen nicht! トクホン (Tokuhon)!!!! Ich habe diese Pflaster als Kleinkind zwar nie verwendet, aber wie könnte ich den leckeren Geruch von Campher vergessen, wonach meine Großeltern oder meine Eltern immer rochen, wenn sie Verspannungen an den Schultern hatten. Mittlerweile weiß auch ich, wie sich Verspannungen anfühlen und könnte eine so wohlriechende Linderung durchaus gut gebrauchen! Überglücklich über die wiedergefundenen Gerüche meiner Kindheit nahm ich also auch eine dunkelblaue Schachtel mit.

Mittlerweile ist auch mein Mann so begeistert von diesen beiden Arzneien, dass er seine トクホン-Pflaster vor häuslichen Langfingern eifersüchtig hütet. Wenn wir im Sommer wieder in Japan sind, weiß ich ganz sicher, was ich wieder nach Deutschland mitnehmen werde…





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